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„Wenn der Code nicht stimmt, versagt der Screenreader“

Die Stiftung barrierefrei kommunizieren! hat das Ziel, mit unterstützenden Technologien digitale Inhalte auch für Menschen mit Behinderung zugänglich zu machen. Vorstandsmitglied Susanne Böhmig erklärt im Interview, warum PDFs problematisch sind, wann Maschinen Überschriften erkennen und wie Smartphones das Leben behinderter Menschen erleichtern.

Frau Böhmig, viele Menschen wissen, was barrierefreie Architektur ist. Das reicht von Rampen für Rollstuhlfahrer am Flughafen bis zum Fahrstuhl in der U-Bahn. Aber was ist barrierefreie Kommunikation? 

Das Thema kam auf, als das Internet und das World Wide Web entwickelt wurden. Man schaute sich all die Websites an und merkte plötzlich, dass nicht alle Menschen die Inhalte dieser Seiten erfassen konnten – aus verschiedenen Gründen: zum Beispiel, weil sie die Inhalte nicht hören konnten, weil sie sie nicht sehen konnten oder weil sie es inhaltlich nicht verstehen konnten. Barrierefreie Kommunikation beschäftigt sich damit, wie man für alle einen Zugang schafft. Für Menschen mit Sinnesbehinderungen, für Menschen mit Lernschwierigkeiten und für Menschen mit motorischen Einschränkungen. Und dabei kann Technologie helfen.

Sie meinen damit sogenannte assistive Technologien? 

Ja, wir haben zum Beispiel einen Erlebnisparcours hier in Berlin, damit auch nicht behinderte Menschen sehen können, wie assistive Technologien funktionieren. Da kann man ausprobieren, wie das ist, mit einer Augensteuerung den Computer zu bedienen oder mit einer Mundmaus. Und man erfährt, wie es sich anhört, wenn der Screenreader für blinde Menschen eine Webseite vorliest.

Als nicht behinderter Mensch kann ich mich morgens einfach mit meiner Zeitung oder Nachrichten-App an den Frühstückstisch setzen. Aber wie konsumieren hör- oder sehbehinderte Menschen die Nachrichten? 

Ganz platt gesagt: Hörbehinderte eher sehend. Und Sehbehinderte eher hörend oder fühlend. Das heißt für jemanden mit Hörbehinderung, der oder die gut lesen kann, ist die ganz normale Zeitung das Mittel der Wahl. Es gibt aber auch viele Menschen, die von Geburt an taub sind, die lieber gebärden und Gebärdensprache besser verstehen. Und die bevorzugen dann Nachrichten in Gebärdensprache. Menschen mit einer Sehbehinderung können sich Sachen vorlesen lassen, wenn sie digitalisiert sind. Oder sie können sich Inhalte über eine sogenannte Braillezeile ausgeben lassen. Solche Geräte übersetzen das, was digital auf dem Bildschirm angezeigt wird, in diese kleinen Pünktchen der Blindenschrift, sodass man mit den Fingern lesend über die Zeile tasten kann.

Müssen Medienunternehmen oder Behörden selbst etwas dafür tun, damit diese Technologien funktionieren? Oder reicht es, einfach nur das Gerät anzuschließen, das die Übersetzungsarbeit leistet? 

Das ist genau das, was zum Beispiel eine Website barrierefrei macht. Sie muss in einer bestimmten Art und Weise programmiert sein, damit die Geräte sie korrekt auslesen können. Das einfachste Beispiel ist: Sie haben eine Zeitungsseite. Die können sie theoretisch einfach abfotografieren und dann als PDF reinhängen. Dann ist das ein Foto, und ein Foto kann nicht ausgelesen werden von der Maschine. Das ist dann ganz und gar nicht barrierefrei für jemanden, der blind ist. Wenn sie das Gleiche jetzt aber schön als Textschrift formatiert haben, sodass die Überschriften auch für die Maschinen als Überschrift erkennbar sind, dann ist es auch für die Braillezeile oder für einen Screenreader gut auslesbar.

Ich war jüngst auf einem US-Nachrichtenportal unterwegs. Dort konnte man sich per Knopfdruck Artikel vorlesen lassen. Allerdings las die Software Überschriften und Teaser genauso wie den Haupttext und vermengte alles zu einem Brei. Das war wenig hilfreich.

Dann war der Text möglicherweise nicht ordentlich markiert und die Software des Screenreaders hat da nicht unterscheiden können. Sie kennen das vielleicht aus Word? Da kann man oben aus Formatvorlagen auswählen und Text beispielsweise als Überschrift markieren. Der Text wird dann gefettet und ein bisschen größer, und man kann sich hinterher wunderbar ein Inhaltsverzeichnis machen. Einen ähnlichen Effekt erreichen Sie, indem Sie einfach nur Größe 14 und „fett“ auswählen. Das sieht unter Umständen gleich aus, aber es ist nicht als Überschrift markiert, Sie können kein Inhaltsverzeichnis daraus machen, und die Maschine kann den Unterschied nicht erkennen. Dann versagt der Screenreader, weil der Code nicht stimmt.

Haben die meisten Unternehmen und Behörden das auf dem Schirm, oder gibt es da noch viel Nachholbedarf?

Die Internetseiten der Bundesbehörden und -ministerien kommunizieren häufig schon weitgehend barrierefrei – auch wenn es in deren Intranets immer noch große Barrieren gibt. Bundesministerien sind in Deutschland an die sogenannte BITV 2.0 gebunden: Die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung 2.0 regelt, was man in Deutschland unter Barrierefreiheit versteht. Schließlich ist Freiheit ein weiter Begriff. Das muss man definieren. Die öffentlich-rechtlichen Sender arbeiten heute mehr mit Untertiteln und Audio-Deskription als noch vor ein paar Jahren. Aber auch da ist definitiv noch Luft nach oben. Und für private Unternehmen gilt die BITV 2.0 nicht. Die privaten Rundfunksender oder auch Unternehmen wie eBay müssen nicht barrierefrei sein in Deutschland.

Gelten Smartphones eigentlich auch als assistive Technologie? Haben Handys ein wenig zur Barrierefreiheit beigetragen? 

Eine hörbehinderte Kollegin von mir sagte schon vor Jahren: Das, was ihr wahnsinnig weitergeholfen hat, war die SMS. Die ist heute ja schon veraltet. Aber diese Möglichkeit, per SMS zu reagieren, wenn ich nicht verstehe, was das Gegenüber sagt, oder auch gar nicht telefonieren zu müssen, weil man sich über SMS verständigen kann, das war ein extremer Zugewinn. Vorher war das sehr schwierig und höchstens mit Spezialgeräten möglich. Heute haben alle Smartphones und unterhalten sich per WhatsApp, sodass auch eine Person mit Behinderung auf einmal auf Augenhöhe kommuniziert. Auch Menschen mit Sehbehinderung oder Blinde können Handys selbst steuern und auf Kontakte zugreifen, weil die vorgelesen werden.

Erleichtern die neuen Technologien Menschen mit Behinderung auch die Integration am Arbeitsplatz? 

Durch die digitalen Entwicklungen der letzten Jahre ist vieles heute nicht mehr so dramatisch. Wer aufgrund seiner Behinderung nicht telefonieren kann, schreibt eine E-Mail. Aber für die meisten ist die Ausstattung mit assistiven Technologien weiterhin unabdingbar, um ihre Arbeit ausführen zu können. Die Geräte werden entweder über die Rentenversicherung oder über das Integrationsamt finanziert. Aber Arbeitgeber müssen dafür sorgen, dass die für den Job nötige Software oder Datenbanken barrierefrei programmiert sind.

Ist Ihre Webseite barrierefrei? 

Auf ihrer Homepage bietet die Stiftung einen Schnelltest an:

www.stiftung-barrierefrei-kommunizieren.de/unsere-arbeit/schnelltest/

Foto: Torsten Kärsch
Foto von Susanne Böhmig: Stiftung barrierefrei kommunizieren!