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Auf neue Situationen einstellen – so flexibel ist unser Gehirn wirklich?!

Was bedeutet eigentlich Flexibilität?
In der Psychologie wird Flexibilität als Persönlichkeitsmerkmal bei hoher Offenheit in Bezug auf die Umstellungsfähigkeit definiert. Damit sind die Bereitschaft und die Fähigkeit gemeint, das eigene Verhalten an veränderte Umstände anzupassen.1

Doch ist das menschliche Gehirn für die beschriebene Umstellungsfähigkeit geeignet?
Und warum fällt es uns so schwer, Routinen und Gewohnheiten hinter uns zu lassen und neue, ggf. fremde Dinge zu wagen?

Die Flexibilität des menschlichen Gehirns

Das menschliche Gehirn ist eines der anpassungsfähigsten Organe des Körpers und hat außerdem von Natur aus eine bemerkenswerte Fähigkeit zur Neuroplastizität2, kann dadurch neue Fähigkeiten erlernen und auf Veränderungen reagieren. Die Struktur und Funktion des Gehirns passen sich dabei im Laufe des Lebens an. Mithilfe dieser Flexibilität kann unser Gehirn neue Fähigkeiten erlernen oder sich an Veränderungen anpassen. Je öfter wir ein Verhalten wiederholen oder eine Fähigkeit trainieren, desto stärker wird unser Gehirn und lernt dazu. In einer Studie von Lally et al. kam heraus, dass ein Verhalten im Durchschnitt über 66 Tage täglich wiederholt werden muss, damit es zur Gewohnheit wird.3

Neuroplastizität

Plastizität bedeutet, dass etwas veränderbar und anpassungsfähig ist, wobei diese Veränderungen dauerhaft sind. Im Gegensatz dazu bedeutet
Elastizität, dass etwas nacheiner Veränderung wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückkehrt. Bei Lebewesen beschreibt Plastizität die Fähigkeit, sich an Umweltbedingungen anzupassen. Neuroplastizität bedeutet, dass sich das Gehirn verändern und anpassen kann. Nervenzellen und Verbindungen werden je nach Erfahrung, Lernen oder Verletzungen umgebaut, gestärkt oder neu gebildet.

Gewohnheiten und ihre Rolle im Gehirn

Trotz der hohen Anpassungsfähigkeit des Gehirns neigen Menschen trotzdem dazu, Gewohnheiten zu entwickeln. Das liegt daran, dass das Gehirn bei automatisierten, geübten beispielsweise alltäglichen Aufgaben kognitive Ressourcen schont und das Verfolgen von Gewohnheiten uns ein Gefühl der Sicherheit und Kontrolle gibt. Dabei unterscheidet das Gehirn nicht zwischen guten und schlechten Gewohnheiten. 

In zwei Tagebuchstudien wurden Teilnehmende gebeten, in regelmäßigen Abständen über ihre Gedanken und Erfahrungen während ihres Verhaltens zu berichten. Interessant dabei war, dass bei gewohnten Abläufen und Routinen, über Themen nachgedacht wurde, die nichts mit der eigentlichen Tätigkeit zu tun hatten. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass diese Tätigkeiten unbewusst erfolgt sind. Autofahren ist z.B. eine Tätigkeit, die zu großen Teilen automatisiert abläuft. Während der Fahrt können wir uns, insbesondere bei oft gefahrenen Streckenabschnitten, mit anderen unterhalten oder Radio hören. Nimmt der Verkehr zu, fahren wir auf unbekannten Straßen oder suchen in Innenstädten einen Parkplatz, ist es mit der Routine vorbei und wir benötigen die volle Aufmerksamkeit. 

Bei neuen Abläufen und Tätigkeiten kam heraus, dass die Gedanken dem Handeln und der Tätigkeit als solches entsprachen. Das zeigt, dass neue Abläufe außerhalb der Komfortzone die volle gedankliche Aufmerksamkeit benötigen. Zusätzlich zeigte sich, dass gewohnte Abläufe das Stressempfinden im Gegensatz zu nicht gewohnten Tätigkeiten verringerten.4

Jede Gewohnheit, jede Routine ist in den neuronalen Strukturen des Gehirns verankert, gibt Sicherheit und Stabilität. Das Gehirn befindet sich dabei in einem Modus, in dem Handlungen weitestgehend automatisiert, wie eine Art Programm, ablaufen und ohne viel Nachdenken agiert werden kann – jetzt befinden wir uns in unserer Komfortzone.

Warum sind Menschen Gewohnheitstiere?

Die Psychologie hat eine Erklärung dafür. Zum einen helfen uns Muster dabei, vorhersehbare Ergebnisse zu erzielen und Ressourcen dabei effizient zu nutzen. Zum anderen haben wir Menschen einen Drang zur Gewohnheit. Denn Routinen sind dabei eng mit dem Belohnungssystem im Gehirn verbunden und setzen bei entsprechendem Verhalten Dopamin frei. Dopamin sorgt im Körper für Befriedigung und ein Glücksgefühl,
wodurch wir uns wohlfühlen. 

Das Gehirn lernt, dass gewohntes Verhalten Stress reduziert, wir entspannter sind und ein positives Gefühl entsteht. Unbewusst wird das (gewohnte) Verhalten gefestigt. Ein Muster, das die Gewohnheitsbildung erklärt, ist die sogenannte Gewohnheitsschleife (Habit Loop), die von Charles Duhigg in seinem Buch »The Power of Habit« (2012) herausgearbeitet wurde.

Obwohl das Gehirn also in der Lage ist, sich kontinuierlich anzupassen, hilft uns das Festhalten an alten, bewährten Mustern, den Alltag effizienter und weniger stressig zu gestalten. Doch diese Neigung zur Gewohnheit ist nicht nur ein Vorteil – sie kann uns auch daran hindern, neue Verhaltensweisen oder Denkweisen zu entwickeln, was den Prozess der Veränderung und des Wachstums herausfordernd macht und wir weniger
flexibel werden.

Der Weg aus der Komfortzone

Wissenschaftlich betrachtet gibt es unterschiedliche Abgrenzungen zum Beginn und Ende der Komfortzone. Im Duden wird die Komfortzone recht simpel als von Bequemlichkeit und Risikofreiheit geprägter Bereich des privaten oder gesellschaftlichen Lebens beschrieben und wird oft leicht abwertend, trotz positiver Synonyme wie Gemütlichkeit und Behaglichkeit, betrachtet.

Flexibilität bedeutet für uns, die Komfortzone zu verlassen. Und obwohl das menschliche Gehirn Gewohnheiten liebt, können diese geändert werden. Dies erfordert die bewusste Entscheidung, neue Verhaltensweisen zu etablieren und diese zur Gewohnheit werden zu lassen. Der Weg, gewohnte Muster zu durchbrechen, ist dabei nicht einfach und hängt oft auch von der eigenen Willenskraft ab.

Betrachten wir noch einmal die Gewohnheitsschleife und die Möglichkeiten, diese zu durchbrechen. Versucht man herauszufinden, was der Auslöser für den Start der Gewohnheit ist (Stress, Langeweile o. Ä.), kann man diesen bewusst ändern oder umgehen. Eine weitere Möglichkeit wäre das Ändern von Routinen, bei der man die (schlechte) Gewohnheit bewusst durch ein anderes Verhalten ersetzt. Stellen Sie dabei sicher, dass das neue Verhalten eine ähnliche Belohnung oder ein ähnliches Gefühl in Ihnen auslöst. Das Ziel sollte sein, sein Verhalten bewusst in eine positive Richtung zu lenken. 

Unser Gehirn ist ein Meisterwerk, es besitzt sowohl die Gabe, sich stetig an neue Gegebenheiten anzupassen, als auch auf Gewohnheiten und Routinen zurückzugreifen, damit wir uns sicherer fühlen. 

Lassen Sie uns gemeinsam, regelmäßig und bewusst unsere gewohnten Muster hinterfragen und neue Gewohnheiten etablieren. Dann sind wir auch im beruflichen Kontext bereiter, flexibel zu agieren und gewohnte Abläufe zu hinterfragen und zu verändern.

5 einfache Tipps, das Gehirn im Alltag zu trainieren

  1. Putzen Sie Ihre Zähne mit der ungewohnten Hand, um neue Verbindungen im Gehirn und die Koordination zu stärken.
  2. Merken Sie sich Ihre Einkaufsliste und verzichten Sie auf eine physische Liste.
  3. Integrieren Sie Fremdsprachen in Ihren Alltag, um Ihre kognitiven Fähigkeiten zu erweitern.
  4. Ändern Sie Ihre gewohnte Route zur Arbeit oder zum Einkaufen.
  5. Rechnen Sie im Kopf statt immer mit dem Taschenrechner.

Referenzen

1 Dorsch – Lexikon der Psychologie, Flexibilität. https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/flexibilitaet
2 Dorsch – Lexikon der Psychologie, Plastizität. https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/plastizitaet
3 Lally, P., van Jaarsveld, C. H. M., Potts, H. W. W. & Wardle, J. (2009). How are habits formed:
Modelling habit formation in the real world. European Journal of Social Psychology
4 Wood, W., Quinn, J. M., & Kashy, D. A. (2002). Habits in everyday life:Thought, emotion,
and action. Journal of Personality and Social Psychology