Agilität
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Agil arbeiten – Agil Publizieren

KNOW!S sprach mit Georg Obermayr, einem der Autoren des Buches „Agiles Publishing“ über Wasserfallmethoden und neue Arten der Zusammenarbeit. 

KNOW!S: Eine Ihrer Thesen ist, dass Medien und Kommunikation nie fertig sind, sondern sich in einem dauerhaften Prozess der Weiterentwicklung befinden. Wie begründen Sie dies?

Georg Obermayr: Diese Grundwahrheit des Prozesses, die wahrscheinlich schon immer gilt, fand ihren vollständigen Widerhall, als die Gestaltung von Webseiten begann. Zunächst wurden diese wie Printprodukte gebaut: Man hat sie gestaltet, Inhalte eingesetzt, gelauncht und oftmals liegen gelassen. Und dann hat man gemerkt, dass dies mit dem flüssigen und dynamischen Medium Internet nicht funktioniert, weder bezogen auf die Inhalte, noch das Design oder die Technik. Die Kosequenz ist: weder eine Marktkommunikation, eine Positionierung noch eine Content Strategie sind jemals abgeschlossen. Laufende Pflege und Entwicklung sind essentiell.

Sie vergleichen die Arbeitsmethode Wasserfall mit dem Agilen Publishing. Können Sie erläutern wo die Unterschiede liegen?

Wasserfall bedeutet: jeder Arbeitsschritt wird in einer Reihenfolge, die Sinn macht, nach dem nächsten abgearbeitet. Also zuerst das Konzept, dann das Design, dann die Programmierung und dann die Reinzeichnung und die Auslieferung. Das Problem: Die Arbeitsschritte müssen aufeinander warten. Also, der Programmierer kann nichts programmieren, solange das Design nicht abgeschlossen ist. Es gibt ganz klare Übergabepunkte zwischen diesen Arbeitsschritten. Kommunikation findet häufig zwischen den Fachrichtungen nur an diesen Übergabepunkten statt. Beim klassischen Wasserfall-Prinzip steht am Anfang ein Briefing, Lastenheft oder großes Dokument, das dann den ganzen Prozess steuert.

Agil wirft fast alle diese Strukturen über den Haufen. Es wird nicht eines nach dem anderen abgearbeitet, sondern die Disziplinen arbeiten gleichzeitig miteinander. Programmierer,  Designer und Texter arbeiten interdisziplinär zur gleichen Zeit am gleichen Projekt. Es gibt nicht mehr das eine große Dokument, das am Anfang alles definiert und das nach ein paar Wochen schon wieder überholt ist. Gearbeitet wird sehr flexibel. An den Marktanforderungen entlang werden die Anforderungen definiert und auch weiterentwickelt. Dies führt im agilen Arbeiten zu deutlich mehr Flexibilität und zu kürzeren Durchlaufzeiten von Projekten. Durch die neue Form der Zusammenarbeit zu besseren Ergebnissen und schlussendlich für die Mitarbeiter zu mehr Identifikation mit dem Produkt. Im Agilen Prozess entstehen Medienprodukte, denen man anmerkt, dass die verschiedenen Disziplinen aus einem Guss heraus gedacht wurden.

Bleiben wir beim Agilen Publishing. Wie arbeitet ein Team unterschiedlicher Experten in dem so genannten War Room zusammen?

Einerseits ist wichtig, festzuhalten, dass agiles Arbeiten ein Baukasten ist, der für jedes Projekt neu definiert wird. Es gibt keinen Masterplan. Natürlich gibt es Elemente, die sich bewährt haben. Ein Beispiel ist das 15-minütige Stand-Up-Meeting am Morgen. Das Team bringt sich auf Stand, hilft sich gegenseitig und bespricht Arbeitsabläufe. Natürlich definiert man ein Ziel: was soll am Ende des Projekt-Sprints oder der Arbeitseinheit stehen? Das wird im Vorfeld gemeinsam definiert und das gesamte Team schätzt, ist das realistisch zu schaffen oder ist das ein zu großes oder zu kleines Arbeitspaket.

Eignet sich Agiles Publishing nur für digitale Projekte?

Diese Arbeitsweise liegt für digitale Projekte erst einmal mehr auf der Hand. Grundsätzlich eignet sich das Agile auch für Printprodukte. Agiles Arbeiten ist nicht das Allheilmittel für alles. Es ist eine weitere Methode, wie ich Projekte managen und durchführen kann. Wichtig ist, dass ich es in das Repertoire an Prozessmöglichkeiten mit aufnehme. Es wird viele Projekte geben, da macht agiles Arbeiten überhaupt keinen Sinn. Ein Beispiel: Wenn hunderte Datensätze gesetzt werden müssen, dann brauche ich keinen agilen Prozess.
Nehme ich ein Printmagazin, wo mehr Kreativität und Entwicklung in jeder Ausgabe stecken, da kann es Sinn machen, in Teilen agil zu arbeiten. Ich muss ja nicht zwingend eine Methode sklavisch umsetzen, sondern ich kann mir eben Methoden aus dem Baukasten herausnehmen. Wenn das Team jeden Morgen ein Stand-Up-Meeting macht, dann ist dies das agile Element in diesem Projekt. Es geht einfach darum, dass man sich je nach Projekt Schritt für Schritt zu mehr Interdisziplinarität, zu mehr Kommunikation, Dynamik und Flexibilität hin entwickelt.

Nun sind wir Menschen unterschiedlich. Kann man sich für konzentriertes Arbeiten auch einmal zurückziehen?

Das ist genauso möglich. Und auch in einem War Room ist es ganz normal, dass nicht permanent miteinander geredet wird, sondern dass jeder für sich konzentriert etwas erledigen kann.

Wie forme ich erfolgreiche Agile Teams?

Wichtig ist die Teamzusammenstellung. Also, welche Typen gut zusammenpassen. Ein Team muss sich einspielen und diese neue Form der Kommunikation, die nicht den Gewohnheiten der klassischen Arbeitsabläufe entspricht, einüben. Viele Menschen haben ja fachliche Scheuklappen auf. Die wollen nicht, dass über ihr Arbeitsergebnis diskutiert wird und sind manchmal auch schnell beleidigt. Schritt für Schritt muss man im Team erarbeiten, dass man mit diesen Barrieren professioneller und souveräner umgeht. Generell ist es empfehlenswert, nicht mit einem großen komplexen Projekt zu beginnen, sondern mit einem einfachen. Also dort, wo kein großer Druck dahintersteht und in Ruhe die Möglichkeiten ausprobiert werden können.

Welche Rolle hat die Führungskraft im agilen Prozess?

Einerseits gibt es im agilen Arbeiten keinen klassischen Projektleiter, das wird eben auf verschiedene Personen verteilt. Das Team ist für das Arbeitspaket selbst verantwortlich. Es gibt den Product Owner, der für das Produkt steht, für die Vision, für die Features und der Marktkenntnisse besitzt. Und es gibt den, der dafür sorgt, dass das Team in sich funktioniert und Regeln eingehalten werden. Den klassischen Chef gibt es eigentlich nicht mehr. Wenn ich agil arbeite, wird sich auch die Unternehmenskultur wandeln und hierarchisch organisierte Strukturen werden an Einfluss verlieren. Es ist ein Change-Prozess, den das ganze Unternehmen mitmachen muss, hin zu einer flexibleren, offeneren Kultur, in der die Führung und die Kompetenz auf mehr Mitarbeiter verteilt sind.

Wie wichtig sind Fehler als Lernprozess in Agilen Teams und werden diese dort eher akzeptiert, als in der Wasserfallmethode?

Ja, einfach weil das Arbeiten intensiver ist. Man spricht plötzlich mit Leuten, mit denen man sonst eher wenig spricht. Jeder lernt sehr viel, weil er gezwungen ist, über den Tellerrand zu schauen. Jeder kommt relativ schnell an seine fachlichen Grenzen, die im Wasserfall eher selten bemerkt werden, weil es sich jeder natürlich in seiner Komfortzone bequem gemacht hat. Im Agilen verlässt man die Komfortzone relativ schnell und hat viele fachliche Lerneffekte. Und jeder profitiert als Mensch, weil er gezwungen ist, mit Kritik, mit Feedback und fachlichen Diskussionen anders umzugehen. Mitarbeiter erleben dies als sehr intensiv, beim ersten Mal auch als anstrengend. Aber sie sagen dann auch, dass sie enorm davon profitieren, weil sie ganz andere Erfahrungen gemacht haben.

Herr Obermayr, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Georg Obermayr ist Leiter Crossmedia Produktion der Werbeagentur Adverma, Fachautor und Referent. Gemeinsam mit Detlev Hagemann, der selbständiger Publishing-Consultant und -Trainer ist und Matthias Günther, Produktmanager für Publishing-Software und Hochschul-Dozent hat er das Buch „Agiles Publishing“ verfasst.
Agiles Publishing  |  400 Seiten  |  ISBN 978-3-941951-86-0
Verkaufspreis: 39,90 Euro  |  www.agile-publishing.de