Design
6 min

Die Verwandlung

Wandel ist überall und hinterlässt nicht nur Sieger. Wer sich nicht anpasst, bleibt auf der Strecke. Das gilt auch in der Medienbranche. Das Unternehmen Schaffrath hat den Wandel jedoch als Chance begriffen. Auch wenn der Weg vom reinen Druck- zum Medienhaus nicht immer einfach war. Ein Besuch auf dem Schaffrath-Campus in Geldern.

„Das ist schon krass. Ich hätte nie gedacht, dass sich das alles so entwickelt. Nie!“ Spricht man mit Bernd Susen über die Druckbranche, begibt man sich schnell auf Zeitreise. Als er 1982 als Hilfsarbeiter bei Schaffrath anfing, „wurden noch schwere Bleiplatten durch die Gegend geschleppt“. Zur Bedienung einer Maschine brauchte man drei Drucker und drei Helfer. „Heute sind in einer Minute alle Druckplatten gewechselt. Nach drei Minuten kann die Maschine wieder anlaufen.“ Für den gleichen Auftrag brauchen er und sein Team heute noch die Hälfte der Zeit.

Susen sitzt in seinem Büro in der Druckhalle. Ein junger Kollege klopft. „Mahlzeit zusammen!“ Susen — der schon lange kein Hilfsarbeiter mehr ist, sondern Schichtführer und Ausbilder — wird in der Halle gebraucht. Dort steht eine Neuanschaffung. Eine KBA Rapida 106. „Ich habe diese Maschine jetzt auch wieder komplett von Grund auf mit gelernt, damit ich auch selber dran drucken kann.“ Neben der Druckmaschine stehen riesige, farbechte Bildschirme. Mithilfe der Proof-Screens wird die Qualität der bedruckten Bögen überprüft. Hightech trifft hier auf Druckerschwärze.

Es macht Susen Spaß, mit der neuen Technik zu arbeiten. Auch wenn das im Alter nicht leichter werde. Der Drucker ist Jahrgang 1960. „Wenn ich mir die jungen Hüpfer anschaue, die ich selber ausbilde: Tack, tack, tack — schon sind die in den Menüs drin.“

Ich hätte nie gedacht, dass sich das alles so entwickelt. Nie!

Bernd Susen, Schichtführer und Ausbilder

Aber bei aller Liebe zu neuen Herausforderungen: „Der Druck ist größer geworden“, sagt Susen — und meint damit nicht die Branche. Denn die erlebt seit Jahren harte Zeiten und schrumpft. Die Konkurrenz ist groß. Die Margen sind niedrig. Wer sich da Fehler leistet, macht kaum noch Profit.

Susen dürfte einige der turbulentesten Jahre der Firma miterlebt haben. Und das will etwas heißen. Schaffrath gibt es schließlich seit 1743. In den 37 Jahren, die er mittlerweile hier arbeitet, hat das Unternehmen nicht nur verschiedene Standorte in der Kleinstadt Geldern zu einem Campus zusammengelegt und mit dem techno- logischen Fortschritt der Branche mitgehalten. Schaffrath hat sich auch neu erfunden. Seit 1995 entwickelt, gestaltet und produziert Schaffrath auch im Web.

„Anfangs haben wir die neuen Kollegen ein bisschen belächelt. Die haben hier und da eine CD erstellt“, sagt Susen. Seitdem ist viel passiert. Heute entwickeln die Digital-Kollegen Apps, designen Websites und beraten und managen Projekte rund um Redaktionssysteme. „Das ist schon ’ne tolle Geschichte“, so Susen. Nur eins findet er schade: „Früher kannte ich jeden im Unter- nehmen. Mit den meisten war ich per Du. Heute kenne ich viele Kollegen, aber nicht mehr alle — das bringt der Wandel so mit sich.“

Mario Hirschfeld geht es ähnlich. Nur sitzt er auf der anderen Seite des Campus. Er ist Projektmanager bei den DigitalMedien. „Das sind tatsächlich zwei unterschiedliche Welten, in denen wir arbeiten und leben.“ Das erschwere die Kommunikation. „Aber wenn wir miteinander sprechen und erklären, was wir so machen, dann ist schon schnell Verständnis da.“

Hirschfeld und seine Kollegen begreifen sich als „Agentur“. Und wie es sich für eine Digital-Agentur gehört, steht im Konferenzraum ein Kühlschrank mit „fritz-kola“ und anderen Getränken. Es gibt regelmäßige Team-Events und natürlich den obligatorischen Obstkorb. „Ab und zu veranstalten wir auch LAN-Partys“, so Hirschfeld. „Natürlich sind die Druckkollegen da etwas neugierig.“

Wir sind ein kleiner Fischkutter. Den kann man auf 10 Metern drehen. Aber die Druckerei ist ein Tanker. Der dreht auf 1.000 Metern.

Mario Hirschfeld, Projektmanager

Hirschfeld setzt außerdem auf Mitsprache statt auf Ansagen. „Agiles Arbeiten“ nennen Experten diese neue Art der Personalführung. Will Hirschfeld jemanden neu einstellen, hat das Team ein Vetorecht. Und kommt ein neuer Auftrag herein, fragt der Projektmanager das Team, was es in den nächsten zwei Wochen für machbar hält. „Wenn ich meinen Kindern zu Hause Essen auf den Teller lade, müssen die das nicht aufessen. Wenn sie sich aber selbst auftischen, dann schon.“ Er lacht. „Ich kann gar nicht sagen, wie viele Parallelen es zwischen Teamführung und Kindererziehung gibt.“

Der Digital-Experte sieht Schaffraths Agentur auch als Versuchslabor. 25 Angestellte arbeiten hier. Im Rest des Unternehmens circa 200. „Wir sind ein kleiner Fischkutter. Den kann man auf 10 Metern drehen. Aber die Druckerei ist ein Tanker. Der dreht auf 1.000 Metern.“

Im Konferenzraum eine Etage weiter oben sitzen zwei Herren, die versuchen, aus diesen unterschiedlichen Arbeitsweisen eine Unternehmenskultur zu schmieden. „Es sind schon unterschiedliche Welten, in denen wir agieren“, sagt Dirk Devers. „Aber dem einen das andere überzustülpen, das wäre nicht gut. Wir müssen beides am Laufen halten.“

Devers ist kaufmännischer Geschäftsführer für den Bereich Druck. Sein Kollege Dirk Alten ist für Vertrieb und Marketing zuständig und findet: „Dem Unternehmen tut es unheimlich gut, dass wir uns auch mit Digital-Themen beschäftigen.“ Schaffrath könne Kunden so einen Medienmix aus Print- und Digital-Produkten anbieten.

Die Spielwiese ist da. Auch wenn das Segment kleiner wird.

Dirk Devers, Geschäftsführer

Beides am Laufen halten, heißt auch, mit den Mitarbeitern reden. „Der Kommunikationsbedarf ist erheblich gestiegen“, so Devers. Das Thema treibt die beiden um. Nicht immer kommt alles bei den Mitarbeitern wie gewünscht an, geben sie zu. „Wir müssen da selbstkritisch sein“, sagt Devers. „Das Thema Kommunikation ist schwer“, sagt Alten. „Wir sind noch lange nicht da, wo wir hinwollen.“

Wichtiges Instrument auf dem Weg zu einer besseren internen Kommunikation ist das Mitarbeiterentwicklungsgespräch. Einzelinterviews, in denen Mitarbeiter ihnen die Meinung sagen können. „Wir hoffen, dass die Leute da ehrlich mit uns sind“, sagt Alten. Ist jemand unzufrieden, wollen die Geschäftsführer immerhin reagieren können. „Ob wir immer alle Probleme abstellen können, das ist dann die andere Frage.“

Nicht zuletzt, weil die wirtschaftliche Situation schwierig ist. Zwar hat sich die Firma auf Zeitschriften spezialisiert. Vor allem mit Magazinen für Verbände hat sich Schaffrath einen Namen gemacht. „Noch gibt es 3.000 Zeitschriftentitel in Deutschland“, so Devers. „Die Spielwiese ist da. Auch wenn das Segment kleiner wird.“ Aber der Preiskampf ist brutal. Energie- und Papierkosten steigen.

„Die größte Herausforderung ist mittlerweile, dass man Pläne aufstellen muss, die nicht mehr das Wort ‚Wachstum‘ enthalten“, sagt Devers. Man merkt, wie ihn — den Controller — das schmerzt. Jedes Jahr fünf Prozent Plus seien nicht mehr drin, die Zeiten des „höher, schneller, weiter“ vorbei. „Und trotzdem muss das Unternehmen sich ja noch weiterentwickeln und weiterleben.“

Für die Geschäftsführer bedeutet das, Erfolg neu zu definieren. „Die Branche ist kleiner geworden, und wir gehören weiterhin dazu,“ sagt Devers. Darauf sei man stolz. „Manchmal ist auch das Überleben ein Erfolg.“ Fast gelöst wirken die beiden Männer. Es wird auch mal gelacht. Man muss sich Sisyphos eben als einen glücklichen Menschen vorstellen.

Zumal es eine große Leistung ist, dass es das Familienunternehmen noch gibt, mehr als 275 Jahre nach der Gründung, hier in Geldern auf dem flachen Land. Eine Tatsache, für die Drucker Bernd Susen genauso dankbar ist wie Projektmanager Mario Hirschfeld. Keiner der Männer könnte sich vorstellen, in einer Großstadt zu leben. „Wir sind halt hier zu Hause“, sagt Hirschfeld.

Dem Unternehmen tut es unheimlich gut, dass wir uns auch mit Digital-Themen beschäftigen.

Dirk Alten, Geschäftsführer

Eine Agentur wie Schaffrath DigitalMedien finde man „in der Größenordnung, mit dem Professionalitätsgrad normalerweise nur in Großstädten“. Das helfe, die Leute hier zu halten. Sucht Hirschfeld nach neuen Mitarbeitern, sucht er nach „Familienvätern und Müttern, die hier ihr Lebenaufbauenwollen“.Erweiß,dassdieKinderhäufig Prioritäthaben,dassÜberstundenoftkeineOptionsind und dass Eltern gern pünktlich zum Abendessen zu Hause sind. Aber Beruf und Familie zu vereinbaren, sei hier kein Problem. Work-Life-Balance— das ist auch in Geldern keinFremdwortmehr.

Hirschfeld verweist auf die Stempeluhr am Eingang. „Das mag antiquarisch erscheinen. Aber das ist für die Mitarbeiter das Coolste überhaupt.“ Jede Stunde, jede Minute werde erfasst. Was nach längst vergangenen Zeiten klingt, soll davor schützen, dass übermotivierte Mitarbeiter zu lange im Büro bleiben und dann Überstunden nicht aufschreiben.

Ähnlich wie Drucker Bernd Susen hat Hirschfeld sein gesamtes Berufsleben bei Schaffrath verbracht. 20 Jahre. Alle paar Jahre habe er innerhalb des Unternehmens neue Aufgaben gesucht und gefunden. In Bewerbungsgesprächen macht er den Leuten entsprechend klar: „Wenn ich dich jetzt einstelle, dann habe ich den Wunsch, dich bis zur Rente zu beschäftigen.“

Spricht man mit Leuten auf dem Campus, hört man das immer wieder: „Einmal Schaffrath, immer Schaffrath.“ Darauf können sich die meisten hier einigen, egal ob sie Apps bauen oder Magazine drucken.

Text: Marten Hahn
Fotos: Marten Hahn (Luftaufnahme), Georg Schreiber (Porträts)