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Content ist nicht immer gleich Journalismus

KNOW!S sprach mit dem Journalisten, DJV-Vorsitzenden und Professor für Journalismus, Frank Überall über Content Marketing, Journalismus in Zeiten der Digitalisierung und Chancen für Verlage durch neue Erlösmodelle wie Blendle. Aber auch über den Begriff „Lügenpresse“. Überall sagt: „Die Zeit, wo wir als Prophet auf den Berg gestiegen sind und relativ ungestört unsere Wahrheiten verkündet haben, die ist vorbei.“

KNOW!S: Content Marketing ist in aller Munde, und immer mehr Unternehmen springen auf den Zug auf. Eigentlich müssten dies rosige Zeiten für den Journalismus und Journalisten sein?

Frank Überall: Ich glaube, dem liegt ein großes Missverständnis zugrunde, denn Content ist nicht immer gleich Journalismus. Man muss da sehr differenzieren. Content kann eben auch extrem interessengeleitet sein. Content kann rein unterhaltend sein und mit Journalismus gar nichts zu tun haben. Die Grenzen drohen für den Konsumenten an der ein oder anderen Stelle zu verwischen – bis hin zu der Frage, wie Journalisten eigentlich noch bezahlt werden sollen, denn diejenigen, die ihr solides Handwerk seriös ausüben, sind halt nicht zum Nulltarif zu haben.

Früher starteten Karrieren in der Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen oft in Redaktionsstuben von Verlagen oder Sendern. Kann man einen Trend ausmachen, dass dies heute nicht mehr so ist, also der Sprung direkt von der Hochschule ins Content Marketing eines Unternehmens gelingt?

Ich stelle in der Tat fest, dass an den Hochschulen immer mehr Absolventen auch ganz bewusst sagen: Ich verdiene mehr in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ich möchte gezielt in diesen Bereich. Oder eben besondere Vorlieben haben und sagen: Ich interessiere mich extrem für Sport und möchte eher in die publizistische Sportvermarktung. Wichtig ist, dass es eine journalistische Grundausbildung für alle gibt, also Journalisten, die mit Nachrichten etwas anfangen können, aber auch in der Praxis gelernt haben, wirklich solide zu recherchieren. Als Journalist bin ich froh, wenn ich Profis als Gegenüber habe, die eben dieses Handwerk beherrschen.

Bei meinen ersten Absolventen, die ich jetzt betreut habe, stelle ich fest, dass direkte  Einstiege tatsächlich möglich sind und funktionieren. Das, was bisher in langjähriger Erfahrung  am Journalisten-Schreibtisch gesammelt wurde, wird zum Teil ersetzt durch eine breiter angelegte Ausbildung, wo man sich eben auch auf PR spezialisieren kann.

Was bedeutet das für den, der Medien konsumiert, kann der noch unterscheiden zwischen journalistischem Medium und Unternehmensverlautbarung?

Ich habe gar nicht so ein Problem mit Corporate Publishing, wenn der Absender der Information eindeutig benannt ist. Wenn ich die „ADAC-Motorwelt“ aufschlage oder eine andere Publikation, weiß ich doch, was mich erwartet. Auch da wird zum Teil guter Journalismus gemacht, aber es ist ja auch klar, dass das VW-Magazin nicht ausführlich darüber berichtet, was sie dort mit ihren Abgaswerten konkret getan haben. Ich glaube, so viel Medienkompetenz können wir den Menschen schon noch zumuten. Viel schwieriger ist das, was im Internet und unter dem Stichwort „Native Advertising“ passiert. Im Internet kann ich den Absender einer Nachricht zum Teil gar nicht mehr klar unterscheiden. Und da müssen wir über Konzepte nachdenken, wie das geht.

Im Netz kursieren eben viele zum Teil dubiose Quellen. Und wenn mir zum Teil sogar Politiker sagen, wenn sie Argumente vorbringen „Ja, das stand doch im Internet“, dann ist das sehr unspezifisch. Durch die Aufbereitung im Internet kann man sehr schnell etwa einen Blog entwerfen, der sehr schnell sehr professionell daherkommt. Da, wo bisher immer dieser Rattenschwanz dran hing: Ich brauche dafür Profis und ich muss dafür Geld in die Hand nehmen, um eine Publikation so aufzubereiten, dass sie ernst genommen wird. Das gilt für Journalismus und für Corporate Publishing. Das wird jetzt relativiert.

Darf ich da mal kurz einhaken. Es gibt aber auch im Corporate Publishing den Trend, Blogs oder auch Print-Titel nicht mehr zu branden, sondern  nur noch im Impressum den Absender kenntlich zu machen…

Da gibt es nicht nur juristische, sondern auch publizistische Bedenken. Dort wo ich nicht mehr unter einer klaren Marke segele, mache ich nicht mehr transparent, wer denn eigentlich der Absender der Information ist. Wenn der Rezipient dort gefilterte Informationen bekommt, die er nicht mehr klar einordnen kann, dann wird es schwierig.

Also ein Plädoyer für klares Branding?

Natürlich. Eigentlich müsste dem Unternehmen ja damit gedient sein in dem Moment, wo es auf seine eigene Reputation einzahlen will. Wenn sie letztendlich mit Content Marketing nur Werbung machen wollen, dann müsste es konsequent entsprechend als Werbemagazin gekennzeichnet sein. Ich plädiere ohnehin dafür – das ist ja eine Diskussion, die in der Medien-Öffentlichkeit mal mehr, mal weniger intensiv geführt wird – dass man abseits vom Pressekodex alleine, der ja mittlerweile auch im Internet zumindest für die Pressemarken gilt, beispielsweise im Sinne einer Selbstverpflichtung, ein Siegel verteilen kann – ähnlich wie Stiftung Warentest. Ein Siegel mit der Aussage: Hier steckt Journalismus drin.

Und ja, Corporate Publishing hat heute aus meiner Sicht eine hohe Relevanz. Aber es muss ganz klar mit offenem Visier stattfinden. Es darf nicht als pseudo-journalistische Publikation verbrämt werden, was die Unterscheidbarkeit dann eben schwierig macht. Damit tun sich die Unternehmen letzten Endes keinen Gefallen.

Ein weiterer Trend ist, dass Unternehmen Journalisten komplette Stories, direkt fertig zur Veröffentlichung, anbieten. Wie ist das zu werten?

Die Verantwortung liegt hier bei den Journalisten. Man kann auf solches Material natürlich zurückgreifen, muss aber das immer transparent machen und wie es der Pressekodex vorsieht, kennzeichnen. Die „Tagesschau“ hat eine eigene Abteilung, die unter anderem prüft, was aus sozialen Netzwerken oder dem Ausland an Videos kommt und die Quelle  angibt. Das Gleiche gilt auch für Footage-Material. Also einen Beitrag eins zu eins zu senden, der jetzt im Videobereich aus einem Unternehmen kommt, das kann man nicht wirklich wollen. Denn wenn das auffällt, wird das sehr schnell eine Branchen-Diskussion entfachen.

Nun ist ja nicht gleich jeder Verlag die „Tagesschau“. Sie würden auch kleinere Verlage hier in die Pflicht nehmen?

Ich habe ja ein gewisses Verständnis dafür, dass es Verlagen zum Teil nicht so gut geht. Aber man darf nicht vergessen, dass Journalismus Geld kostet. Wenn ich keinen Journalismus betreiben kann, funktioniert das Geschäftsmodell nicht. Ich kann nicht nur Verlagsmanager hoch bezahlen, sondern Journalisten sind in der Regel Höchstqualifizierte, die studiert, sehr häufig ein Volontariat, die Weiterbildungen gemacht haben, und die in ihrem Themengebiet wirklich fit sind. Solche Leute kosten Geld. Und das ist etwas, was vielen in der digitalen Welt nicht bewusst ist.

Es gibt Trends, dass man Journalisten weniger vertraut, wir kennen ihn alle den Begriff „Lügenpresse“. Wen sehen Sie in der Pflicht, wieder für mehr Vertrauen zu sorgen, alle Verlage oder nur die „Big Player“?

Wir müssen alle jeden Tag daran arbeiten, für Transparenz zu sorgen und unseren Ruf zu retten. Dazu gehört beispielsweise auch eine anständige Fehlerkultur. Es galt ja fast als anrüchig, im eigenen Medium einen Fehler einzuräumen. Das wurde allenfalls über Gegendarstellungen angesetzt. Da stelle ich insgesamt einen Trend fest zu korrigieren – sei es bei „Spiegel Online“, sei es bei „ARD“ oder „ZDF“, sei es bei den Tageszeitungen. Die Sehnsucht und auch das Vertrauen in Sachen Einordnung ist beim Publikum ja da. Wenn man sich anguckt, dass die Wochenzeitung „Die Zeit“ Rekordauflagen hat, dass die Blätter für deutsche und internationale Politik zum Beispiel enorme Abo-Steigerungen im Moment haben. Da sieht man, dass es diese Sehnsucht nach qualifizierter Einordnung, die auf Fakten beruht, tatsächlich gibt.

Ich sehe unsere Aufgabe als Gewerkschaft darin, auch in meiner Funktion als Hochschullehrer, insgesamt diesen Diskurs zu beflügeln und immer wieder bewusst zu machen: Die Zeit, wo wir als Prophet auf den Berg gestiegen sind und relativ ungestört unsere Wahrheiten verkündet haben, ist vorbei. Wir müssen viel mehr als bisher unseren Beruf erklären, und dazu gehört eben auch – da kommt der Gewerkschafter in mir sehr deutlich raus – dass das nicht zum Nulltarif zu haben ist.

Verlage müssen in den Journalismus auch wieder investieren?

Natürlich. Das tun sie ja in weiten Teilen auch. Aber da, wo wir eben nur noch als „Content-Schubser“ gesehen werden, unter dem Motto „die Zeitung schreibt sich schon von alleine voll“, das kommt beim Publikum nicht an. Ich habe letztens eine Tageszeitung in die Hand bekommen, da bestand die gesamte Titelseite nur aus Agenturmeldungen. Das ist etwas, was viele Menschen heute schon am Tag zuvor im Internet gelesen haben. Das ist ein Geschäftskonzept, das in den nächsten Jahren tendenziell eher zur Pleite als zum Erfolg eines Verlags führen wird.

Blicken wir auf die digitale Entwicklung in den Verlagen, wie können diese hier bestehen?

Es kann nur eine Verschränkung der verschiedenen Angebote geben. Ich bin fest davon überzeugt, dass es Print dauerhaft geben wird. Aber Print wird nicht das aktuelle Nachrichtenmedium alleine sein, sondern es ist eben gerade diese Einordnung, der Blick hinter die Kulissen, die Erklärung, die dort nach einer ordentlichen Recherche geleistet wird. Das wird Print in Zukunft leisten. Die anderen Kanäle kann man nicht komplett ausblenden. Und wir sehen ja in der digitalen Welt, dass, abgesehen von dem reinen Printerzeugnis, solche Dinge zunehmend funktionieren.

Wenn man sich ein Projekt wie „Blendle“ anschaut: Da werden Artikel tatsächlich gekauft. Und das funktioniert. Und ich bin fest davon überzeugt, für gute journalistische Inhalte sind die Leute bereit zu zahlen. Da können die Verlage mit ihren geschaffenen Medienmarken sehr viel bewegen.
Gleichzeitig aber auch die Warnung: Wenn die schweren Tanker sich nicht bewegen, darf man nicht vergessen, dass die Journalisten es sind, die das Handwerk beherrschen und damit auch die schnelleren Beiboote auf den See setzen können. Wenn Verlage meinen, sie könnten mit billigem Content ihre Publikationen füllen, dann werden sie nicht zuletzt daran scheitern, dass Journalisten ihre Geschichten nicht mehr den etablierten Medienunternehmen anbieten, sondern über „instant articles“, „Blendle“, „You Tube“, Podcast- oder andere Kanäle veröffentlichen. Dort können Journalisten Geld verdienen. Verlage müssen aufpassen, dass sie diesen Zug der Zeit nicht verpassen.

Kann sich Paid Content durchsetzen?

Wir alle müssen uns bewusst machen, welchen Wert Journalismus hat. Projekte wie „Blendle“ beweisen, dass es eine Zahlungsbereitschaft gibt. Es muss nur einfach für den Kunden sein. Ich kaufe keinen Artikel, wenn ich erst stundenlang Formulare ausfüllen und bestätigen muss, dass man mir regelmäßig kostenlos Werbung zuschickt.

Der Journalist von heute ist Podcaster, Blogger, Schreiber und Fotograf in einem. Das Berufsbild ändert sich: Positiv oder Negativ?

Die Konvergenz des Journalismus lässt sich nicht mehr leugnen. Ich kenne selbst noch die Zeiten, wo man als Tageszeitungs-Redakteur morgens ins Büro gegangen ist, den ganzen Tag an einer Geschichte recherchiert hat und am Ende des Tages 100 Zeilen geschrieben hat – mehr nicht. Vielleicht ist man noch auf eine Pressekonferenz zum gleichen Thema gegangen, aber ansonsten konnte man sich komplett auf ein Thema und eine Ausspielform konzentrieren. Das ist heute längst nicht mehr so. Journalistische Ausbildung muss genau da ansetzen. Insofern setzen wir – ich bin ja an einer privaten Medienhochschule in Köln und Berlin tätig – genau schon im Bachelor-Studium auf diese Konvergenz und haben einen Masterstudiengang, der sich ganz bewusst konvergenter Journalismus nennt, aufgesetzt.

Ich persönlich sehe es als riesengroße Chance. Ich habe mein Leben lang in verschiedenen Mediengattungen gearbeitet: Radio, Fernsehen – auch da wieder die verschiedenen Darstellungsformen von der Kurznachricht bis zum Feature, von „Lokalzeit“ bis „Monitor“. Das sind ja jeweils ganz andere Herangehensweisen. Manchmal gibt es Stories, wenn ich zum Beispiel in einem sozialen Brennpunkt recherchiere, da möchte ich nicht mit Mikrofon und Kamera durch die Gegend laufen. Da habe ich dann vielmehr Lust, einfach nur einen Zeitungsartikel oder etwas für Online zu produzieren. Man kann sich journalistisch heute mehr ausleben, wenn man die entsprechende Grundausbildung hat und erkennt, was für die Geschichte der richtige Erzählstrang, das richtige Medium ist.

Diese KNOW!S ist mit Pflicht und Kür überschrieben. Was sind denn heute für den Journalisten selbst Pflichtprogramm und was ist die Kür?

Die Pflicht ist auf jeden Fall, sich im Markt weiter umzuschauen und eben auch über Aus- oder Weiterbildung dran zu bleiben. Wenn wir uns anschauen, wie Journalismus funktioniert, hat das nur noch bedingt etwas damit zu tun, wie Journalismus vor 20 Jahren gearbeitet hat.

Die persönliche Kür ist weiter über den Tellerrand hinaus zu blicken und darüber nachzudenken, was gibt es vielleicht noch für neue Erzählformate, was kann ich mir selbst noch einfallen lassen. Aber auch Themen wie „instant articles“ oder „Blendle“. Als Gewerkschaft wollen wir erreichen, dass bei „Blendle“ nicht nur Verlage Artikel anbieten können, sondern auch professionelle freie Journalisten.

Ist „Blendle“ auch etwas für Fachverlage?

Selbstverständlich. Ich sehe hier eine unglaubliche Chance. Wir stellen zum Beispiel mit dem Medienmagazin „Journalist“, das vom Deutschen Journalisten-Verband herausgegeben wird fest, dass wir zum Teil wirklich in die Top 10 der „Blendle“-Charts neben „FAZ“, „Cicero“ oder „Süddeutsche“ kommen, wenn wir die richtigen Themen haben. Und das Spannende ist ja, dass zum Teil ältere Artikel plötzlich wieder abgerufen und bezahlt werden, weil sie eine spannende Einordnung anbieten. Etwa wenn das Thema in sozialen Netzwerken hochkocht. Da gibt es ja nicht nur Wut- und Hass-Kommentare und Katzenbilder, sondern zum Teil auch wirklich valide, spannende und intellektuelle Kommunikation. Und dort wird zunehmend auf die Veröffentlichungen hingewiesen, denen man vertraut.

Also gerade für Fachverlage mit ihren hochwertigen Artikeln wäre es eine gute Möglichkeit ihr digitales Portfolio zu erweitern und Geld zu verdienen?

Genau. Vor allem wenn ich das Thema aus der Konsumentenhaltung denke. Jemand will sich etwas Neues, etwa komplexe Technik anschaffen und im Vorfeld informieren. Es ist nicht so einfach, sich im Internet unabhängig zu informieren. Und da bin ich froh, wenn zum Beispiel ein Fachverlag, der auf so etwas spezialisiert ist, sich genau damit beschäftigt hat und mir die Information bei „Blendle“ zur Verfügung stellt. Dies kann auch aus dem Corporate Publishing heraus erfolgen. Dafür bin ich bereit, ein bis drei Euro auszugeben.

Sie sind ja Gewerkschafter. Muss der Verlag dann seine Journalisten an neuen Erlösmodellen wie „Blendle“ beteiligen?

Ganz klar die Formel: Was auch immer an Zusatzprodukten generiert wird, daran müssen die Autorinnen und Autoren adäquat beteiligt werden.

Herr Überall, wir danken Ihnen für das Gespräch

Prof. Dr. Frank Überall ist seit 2015 Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV). Zudem lehrt er an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Köln. Überall arbeitet für den WDR, die ARD und schreibt außerdem bundesweit für Zeitungen und Onlinemedien.

 

Foto: Rainer Holz