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Nachhaltigkeit im Vergabeverfahren

Mit der Expertise von Dr. Alexander Hübner (Rechtsanwalt, Fachanwalt für Vergaberecht) und Jeremy Ritter (Rechtsanwalt, Schwerpunkte: deutsches und europäisches Vergaberecht) von der Kanzlei HAVER & MAILÄNDER Rechtsanwälte erhalten Sie im folgenden Artikel einen Überblick über die Aspekte der Nachhaltigkeit im Vergabeverfahren. Spätestens seit dem Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2021 steht unmissverständlich fest: Die Bürger*innen haben ein durchsetzbares eigenes Recht darauf, dass der Gesetzgeber sie und künftige Generation schon heute vor unumkehrbaren Gefahren des Klimawandels schützt. Der Staat ist einklagbar zum Klimaschutz verpflichtet. Doch mit welchen Mitteln soll die Verpflichtung auf Klimaschutz umgesetzt werden? Ein zentrales Puzzleteil zur Beantwortung dieser Frage ist die Hebelwirkung öffentlicher Beschaffungen. 

Nachhaltigkeitsaspekte in der öffentlichen Beschaffung

Mittlerweile hat auch der Gesetzgeber erkannt, dass der Staat sich bei seinen Beschaffungen nicht seiner Vorbildwirkung entziehen kann. Schließlich geben staatliche Beschaffer in den EU-Staaten jährlich ca. 14 % des BIP, umgerechnet etwa 2 Billionen Euro, für öffentliche Aufträge aus. Derzeit sind nachhaltige Beschaffungen in der Praxis jedoch rar. Zuletzt blieben in Deutschland in über 85 % der öffentlichen Beschaffungen Nachhaltigkeitskriterien unberücksichtigt. Und das, obwohl das geltende Gesetz hierfür seit Jahren ausdrückliche Möglichkeiten – wenn auch nur wenige Verpflichtungen – vorsieht. Mit den auf europäischer und nationaler Ebene geplanten Gesetzesvorhaben dürfte allerdings in Zukunft die Relevanz von Nachhaltigkeitsaspekten bei öffentlichen Beschaffungen spürbar zunehmen. 

Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien – welche Möglichkeiten gibt es?

Seit 2016 gelten »soziale und umweltbezogene Aspekte« als Grundsätze des Vergabeverfahrens – wenngleich sich hieraus keine konkrete Verpflichtung für die einzelne Beschaffung ergibt. Das geltende Vergaberecht erlaubt es dem öffentlichen Auftraggeber allerdings, auf allen Ebenen des Vergabeverfahrens Nachhaltigkeitskriterien anzuwenden. So kann ein Auftraggeber als Nachweis der Eignung eines Bieters etwa Angaben zu Umweltmanagementmaßnahmen fordern, die während der Auftragsausführung angewandt werden. Häufig wird dafür der Nachweis einer Zertifizierung nach ISO 14001 oder einer EMAS-Registrierung verlangt. Ohne entsprechenden Nachweis hat ein Bieter dann keine Chance auf den Zuschlag. Wurde bei der Ausführung eines früheren Auftrags durch einen Bieter nachweislich gegen geltende umwelt-, sozial- oder arbeitsrechtliche Verpflichtungen verstoßen, ist dieser Bieter ohnehin vom Vergabeverfahren auszuschließen.

Nennung von nachhaltigen Aspekten in der Leistungsbeschreibung

In der Leistungsbeschreibung, dem Herzstück eines Auftrags, lassen sich nachhaltige Aspekte detaillierter abbilden. Beispielhaft – aber keinesfalls abschließend – zu nennen sind etwa Mindestanforderungen an die Energieeffizienz, Lebensdauer, Schadstofffreiheit der verwendeten Materialien oder die Recyclingfähigkeit einer Leistung. Um Bietern einen im Vergabeverfahren vergleichbaren, leicht zugänglichen Nachweis zu ermöglichen, dass ihr Angebot die hierzu bestehenden gesetzlichen Anforderungen erfüllt, fordert der öffentliche Auftraggeber die Vorlage von Gütezeichen (z. B.: »Blauer Engel«). Bezuschlagt werden muss zudem nicht immer das preislich günstigste Angebot. Auch umweltbezogene und soziale Zuschlagskriterien können – so weit sie mit dem Auftragsgegenstand in einer auch nur losen Verbindung stehen und vorher vom Auftraggeber mitgeteilt wurden – neben dem Preis Berücksichtigung finden.

Die Grundlage der Kostenberechnung

Grundlage für die Kostenberechnung können auch die Lebenszykluskosten der Beschaffung sein. Relevant werden dann neben den bloßen Anschaffungskosten die langfristig anfallenden, mitunter erheblich höheren Nutzungs, Wartungs, Verwertungs- oder Entsorgungskosten. Vereinzelt sieht der Gesetzgeber sogar vor, dass bei den Kosten einer Leistung verbindlich ein CO2-Schattenpreis zu berücksichtigen ist. Auch im Rahmen der Ausführungsbedingungen können dem Bieter umweltbezogene und soziale Belange – so weit sie mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen – auferlegt werden, die sich nicht schon aus gesetzlichen Verpflichtungen ergeben. Aber Vorsicht: Die Einhaltung der Ausführungsbedingungen ist nach aktueller EuGH-Rechtsprechung nicht im Vergabeverfahren zu überprüfen. 

Was bedeutet dies für öffentliche Auftraggeber und Bieter?

Öffentliche Auftraggeber tun sich offensichtlich schwer damit, nachhaltige Aspekte im Vergabeverfahren zu berücksichtigen, solange dies das Gesetz nicht verbindlich für die eine oder andere konkrete Beschaffung vorsieht. Öffentliche Ausschreibungen gelten ohnehin als komplex und aufwendig. Dennoch sollten sich öffentliche Auftraggeber frühzeitig darauf einstellen, dass die Politik sie zunehmend zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten verpflichten wird. Deshalb ist es auch Bietern dringend zu raten, sich mit dem Thema Nachhaltigkeit im Vergabeverfahren gründlich auseinanderzusetzen. Clevere Bieter, die sich bereits heute auf die wachsende Nachfrage nach nachhaltigen Produkten einstellen, werden für ihren Aufwand belohnt werden. Denn das Marktpotenzial nachhaltiger Leistungen ist noch weitestgehend unerschlossen. Weshalb deswegen nicht schon heute aktiv auf öffentliche Auftraggeber zugehen, um diese im Rahmen der Markterkundung von der eigenen nachhaltigen Leistung zu überzeugen?